• VOM MAUERN UND STRICKEN

    Zu Aspekten der künstlerischen Arbeit von Anja Schrey

    I.
    Bei mir daheim, im „Elternhaus“, haben wir des Öfteren Skat gespielt. Und dabei wurde dann schon einmal in trauter Runde „gemauert“, der Wert der eigenen Spielkarten, des eigenen „Blattes“, wurde also nicht voll ausgereizt. So blieb man gleichsam hinter den Erwartungen zurück und konnte dadurch die anderen beiden Mitspieler (ent)täuschen – was wiederum die eigenen Gewinnchancen erhöht hat, ohne dass man selber ein Risiko eingegangen ist. Sicherheit geht bei dieser Spieltaktik, die das eigene Solo-Spielen verhindert, vor.

    Auch die Malerei, meist Acryl auf Papier, von Anja Schrey, so scheint mir, „mauert“ in vielerlei Hinsicht. Dieses nicht (nur) weil sie oftmals Mauern zeigt, sondern vor allem deswegen, weil sie mit dieser Malerei ebenfalls hinter ihren eigenen vermeintlichen Möglichkeiten bleibt. So sind Anja Schreys Bilder weder wirklich realistischer Natur, dazu sind sie zwar nahezu maßstabsgetreu, doch ein wenig zu „vage“ gemalt, noch versuchen sie durch malerische (abstrakte) Finesse zu reizen, einen „individuellen Pinselstrich“ etwa sucht man hier vergebens. Diese Bilder enttäuschen also erst einmal doppelt – und gewinnen dann gerade dadurch. Letzteres nämlich, weil sie dank dieser wohlkalkulierten Enttäuschungen diverse (zeichentheoretische) Qualitäten nicht nur von künstlerischen Bildern hinterfragen: Gibt es tatsächlich realistische, quasi „wirklichkeitsgetreue“ Bilder? Oder sind diese nicht immer formal konstruiert? Und sind diese formalen Konstruktionen zwar auch subjektiver Natur, dennoch aber alles andere als individuell, ach so persönlich und sensibel-genial? Den alltäglichen Sujets der Künstlerin sind genau dieser produktiven Dialektiken präzise eingeschrieben.

    Auch der Moment der Sicherheit, den mein „Mauern“ beim Skat innehatte, findet sich in diesen kulissenhaften Bildern wieder, schützen doch Mauern und sollen ein Eindringen jedweder Art verhindern. Die von Anja Schrey gemalten zugemauerten Fenster betonen zudem die Verweigerung von Sehen, genauer: von Hinein- und Hinausblicken. Ihre „Kunst der Oberfläche“ lässt sich so gewissermaßen „nicht in die Karten schauen“ und verweigert dadurch bewusst vorschnelle Interpretationen. Aber vielleicht lässt ja auch, oder gerade dieses tief blicken…

    II.
    Während ich also daheim mit meinen Eltern mehr oder weniger friedlich Skat spielte, saß meine Schwester still daneben und strickte. Ich habe nie ganz genau verstanden, was sie da eigentlich machte, aber mir war klar, dass es sich hier um so etwas wie eine minimalistische Tätigkeit handelte, die von immer wiederkehrender Repetition charakterisiert war, die irgendwo zwischen Konzentration und Meditation, von Selbstzweck und späterem Nutzen sich ereignete. Eben so lässt sich auch das künstlerische Vorgehen von Anja Schrey beschreiben: mit fast meditativer Pedanterie, ein wenig an Agnes Martins Arbeit erinnernd,  wird hier ein Strich nach dem anderen auf das Papier gesetzt und so ein Stein nach dem anderen gemalt.

    Der wohlkalkulierte Minimalismus der Künstlerin allerdings unterscheidet sich vom Stricken meiner Schwester in einem entscheidenden Punkt: die Bilder von Anja Schrey sind weder Selbstzweck noch von konkretem Nutzwert, stattdessen behaupten sie im Raum der autonomen Kunst selbstbewusst den ästhetischen Wert einer Reflexion über das Verhältnis von Bild und Welt.

    Raimar Stange (2016)

  • On Stone Walls & Knitting

    About aspects of the artistic work of Anja Schrey

    I.
    Back in my “parental home”, we often used to play the card game of skat. And the familiarity of the players actually encouraged defensive play or “stonewalling” so that one’s personal scores, or the “card hand” were not completely outbid. That’s how we always remained behind expectations, thus playing a game of bluff/disappointment against the two opponents – in turn, increasing one’s chances of winning without any personal risk-taking. Safety is the name of this tactic that blocks personal, solo gamesmanship.

    Similarly, the paintings by Anja Schrey, mostly acrylic on paper, seem to me in many respects to be “stonewalling”. This is not (only) because she often depicts walls, but primarily because with this painting she also often trails behind her personal assumed potential. Thus, Anja Schrey’s pictures are neither actually realistic in character, for while they are virtually true to scale they are still painted a little too “vaguely”, and nor do they attempt to appeal through painterly (abstract) finesse, for instance, here one looks in vain for an “individual brushstroke”. These paintings therefore initially present a double bluff/disappointment – and then they gain precisely because of this. They gain because thanks to these well calculated bluff/disappointments they call into question various (drawing theory) qualities not merely of artistic pictures: do realistic pictures in fact exist that are “faithful to reality”? Or are these not always formally constructed? And are these formal constructions in fact of a subjective nature, and yet anything but individual, well so personal and sensitively ingenious? Precisely these productive dialectics are inscribed into the artist’s everyday subjects.

    Even the element of safety, which was characteristic of my “stonewalling” when playing skat, emerges in these pictures that are slightly mural-like, since walls protect and are supposed to prevent any kind of penetration. The paintings by Anja Schrey of bricked-up windows also accentuate the refusal of seeing, or to be more exact: of looking inside and outside. Her “art of the surface” to a certain extent doesn’t “show its hand”, thus consciously rejecting any rash interpretations. Perhaps, however, this dimension, or precisely this can be looked at in depth…

    II.
    While back home with my parents the skat game carried on more or less peacefully, my sister sat nearby more or less quietly and was knitting. I never exactly understood what she was actually doing, but it was at least clear to me that this involved something like a minimalist activity characterized by perpetual repetition that was invoked somewhere between concentration and meditation, between an end in itself and later use. The same could also be said of Anja Schrey’s artistic approach: with almost meditative pedantry and slightly reminiscent of Agnes Martin’s work, here, one stroke is placed after the other on the paper, thus one stone is painted after the other.

    In one decisive point, however, the artist’s well calculated minimalism differs from my sister’s knitting: the pictures of Anja Schrey are neither an end in themselves nor of any real utility value; instead, in the realm of autonomous art they assert self-confidently the aesthetic value of a reflection on the relationship of the picture and world.

    Raimar Stange (2016)

  • Tableaux vivants

    Wie echt! – So ein Eindruck entsteht beinahe zwangsläufig, wenn sich Betrachter zum ersten Mal mit den Buntstiftzeichungen von Anja Schrey konfrontiert sehen. Tatsächlich scheint die Figur, die die Künstlerin als Abbild ihrer selbst in immer neuen Ausstattungen und Posen variativ zu Papier bringt, ungemein lebendig; wirkt ´zum Anfassen´ realistisch. Doch gleichzeitig behalten sich diese Bilder trotz ihrer Unmittelbarkeit Distanz vor. Trotz ihrer Präsenz bzw. der durch ihr superrealistisches Da-Sein ausgelösten Wirkung bleiben sie reserviert. Fast scheinen sie auf ein eigenes Leben zu bestehen, was dem Betrachter bei seinen Annäherungen merkwürdig entzogen bleibt. Dabei lässt sich alles ganz einfach an.

    Anja Schrey ist offensichtlicher Mittelpunkt der Zeichnungs-Serie. Sämtlich mit Buntstiften auf Papier hergestellt, zeigt diese Serie ´Bilder von Anja Schrey´. Die Künstlerin ist dabei gleichzeitig Motiv – als Resultat aus Pose und Ausstattung sowie deren Anlage zum bzw. im Bild – und Produzentin: die Ausführende von der Bildidee bis zum fertigen, im übrigen recht groß dimensionierten Resultat. Mit dieser Ausgangslage stehen Eckpunkte fest: zur Rezeption drängt sich die Tradition des Realismus (als ´klassisch´ europäisches Konzept der wirklichkeitsgetreuen Abbildung) auf. Zudem bieten sich Deutungsmuster, etwa unter dem naheliegenden Vorzeichen ´Selbstporträt´(1) oder als Ganzkörperdarstellung an. Wird es je nach Informationsgrad sogar möglich, Anja Schrey im – wortwörtlich – „Larger than life“-Realismus der Bilder wiederzuerkennen, sie als spezifisch festgehaltenes Aussehen zu erfahren. Nachahmung (2). Punkt.

    Unabhängig davon schlagen diese Bilder auf anderen Ebenen jedoch eine Reihe Fragen vor und stellen darüber hinaus (sehr ambivalente) Bedeutungen her.

    Soziolgische Schnittmuster/Jahresringe
    Die Zeichnungen von Anja Schrey sind sichtlich aus einer Perspektive des Jetzt, im Hier und Heute entwickelt. Fungieren als Zeichen und transportieren klar lesbare Codes. Wie schon gesagt, die Figuren posieren. Vor allem aber sind sie mit jeder Menge Zubehör – Kleidung, Schuhe, Frisur – ausgestattet. Solche Folklore hilft bei der Datierung: z. B. die Combat-Puma-Sneakers bei den beiden Versionen der „Hockenden“ (2002), ein Marken-Label oder ein wiederkehrendes T-Shirt-Modell verweisen zum einen auf eine bestimmte, zu einer Zeit verfügbare Produkt-Palette. Bilden in Kombination zusammen mit der Frisur – als Look – eine Art Zeitschnitt des modisch Möglichen, Zeitgeist ab. (In einiger Zukunft werden die Blicke auf den modischen Aspekt dieser Bildinszenierungen schon wesentlich anders ausfallen, wenn man zum Vergleich etwa die superrealistischen, sichtlich die 70er atmenden Situationsaufnahmen von Franz Gertsch oder das zwischen Inszenierung und Authentizität pendelnde Zeitkolorit fotografischer Szenen von Philip-Lorca di Corcia oder, aktueller, Wolfgang Tillmans heranzieht. Weniger die Bilder selbst – interessant sind aus heutiger Sicht entweder ihre soziologischen Lektürevorschläge. Oder es geraten dazu die Mechanismen ihrer Sichtbarkeit als Überblendung von Bildangebot, historisch bedingter Bildvorstellung und aus verschiedenen Ressourcen gespeiste, individuelle Erwartungen zwischen Voyeurismus und Erklärungswillen in den Blick.)

    In den Zeichnungen von Anja Schrey sind Ausstattung und Styling jedoch nicht nur Hilfen zur Identifizierung. Sie präsentieren, unmittelbar daran geknüpft, wie unter Scheinwerfern, den Plot ´konstruierte Identität´. Das sticht besonders bei der Mehrdeutigkeit der jeweils ins Bild gesetzten, teils höchst artifiziellen Posen, Torsionen und Balanceakte ins Auge; dabei verstärken (und verlieren) sich Looks aber keineswegs nur in Richtung Image.

    Aussehen wird mehr und mehr als gezielte Behauptung um ein vermutliches Zentrum ´Selbst´ vorgeführt: offenkundig gemacht durch ein Oszillieren etwa zwischen gezielt in Szene gesetztem Girlietum und mehr gewollter als gekonnter „Pin-up“-Pose, zwischen abschätzig erschrecktem Blick und still-explizitem In-Sich-Gekehrt-Sein. Nebenbei: Das Deutungsmodell Lesbarkeit stößt spätestens hier an seine Grenzen. Öffnet sich die Bühne für Projektionen…

    Doch eröffnen sich über diese Techniken der Inszenierung als Bild unter den Vorzeichen ´Kunst´ weitere Zugänge. An der Stelle kippen die Zeichnungen nämlich aus dem – in den 90er Jahren populären – Fragenkomplex rund um Looks und Image, Identitäten und Typus, weisen zurück in die komplexe Vorgeschichte ihres Zustandekommens und ihrer Herstellung. Denn die lebensecht überzeichneten Bilder Anja Schreys sind nicht allein im Zusammenhang ´Atelier´ zu sehen, ihnen ordnen sich tatsächlich lebende Bilder bei, inverse „tableaux vivants“ gleichsam.

    „Bei einem Gespräch über Bilder von einem ´lebenden Bild´ zu reden, scheint eine Tautologie! Gibt es nicht immer ein ´lebendes Bild´, bevor es ein Bild gibt?“ (Auszug aus Octaves Tagebuch, Pierre Klossowski: Die Gesetze der Gastfreundschaft, Berlin 2002, S. 44)

    Genau. Invers. Nicht wie in der vor allem im Barock kultivierten Praxis (auf die sich Pierre Klossowski im Abschnitt oben bezieht) populäre Bilder, berühmte Kunstwerke, Embleme oder allegorische Situationen mit Darstellern als belebtes Schaustück an der Grenze zum Theatralen zur Aufführung zu bringen. Der Kunst nachgeordnet, sozusagen.

    Anja Schrey erscheint nach Wunsch, wie auf Zuruf als ´lebendes Bild´ im realen Raum: In ihren performativen Versuchsanordnungen wie „Dressing Princess“ (2002) oder „Mach mir ein Bild von mir“ (2003) setzt sich die Künstlerin ihren jeweiligen Publiken ganz direkt aus, weitet ein Klima temporär gewollter wie verantworteter Künstlichkeit auf städtische, wie Kunsträume aus. In diesen Performances realisiert sie (automatengleich-duldsam) an sie (auf ihre Initiative hin!) angetragene Wünsche: nach einem bestimmten Dress, Styling oder einer Pose. Die nur vorläufigen Resultate dieser in ständiger Bewegung gehaltenen Macht- und Erfüllungsphantasien verhalten sich zum/als Bild konkretisiert im Raum. Von Anja Schrey ausgeführt und ausgestellt (3). Was dabei wirklich der Fall ist? Die Bedeutung dieser als entkoppelt sichtbar gemachten Ursache- und Wirkungsmechanismen, Rollen- und Kontrollspiele (inklusive ihrer Präsentations- und Rezeptionszusammenhänge), die findet anderswo, an den Rändern der vorübergehend ästhetisierten Wirklichkeit statt.

    „Aber es ging dabei nicht einfach um eine Nachahmung der Kunst durch das Leben – das war nur ein Vorwand. Die gesuchte Gemütsbewegung war die des Lebens, das sich zu einem Schauspiel seiner selbst hergab; des Lebens, das in der Schwebe verharrt.“ (Pierre Klossowski, ebd.)

    Profunde Oberflächen
    Zurück aus der parallelen Zone der Performances, die die Figuren der Zeichnungen wie ein Echo nachklingen lassen: verdichtet, aus unterschiedlichen Quellen und Ableitungen (mediale Bildvorlagen, Performances, selbstreflexive Modellsituation im Atelier) gespeist, vor der Ausführung auf Papier in einer Fotovorlage konkretisiert.

    Zeichnung ist hier nämlich nicht mit dem Stift entwickelt: sie dient als Herstellungsmodus für eine vorher entwickelte – und längst der Realität entkoppelten Bildidee. Das schränkt ein zeichnerisches Eigenleben massiv ein, erinnert im Verhältnis von Figur zu Trägerstoff eher an den fokussierten Kamerablick: dabei übernimmt der Frame die Kontrolle über die Komposition. Sauber trennt eine Umrisslineatur die Figur vom Grund (der selten mehr als nur Träger ist, fast wie eine Bluebox ohne jede Orientierungshilfe funktioniert) (4). Dagegen hebt sich, fast mit illustratorischer Naivität in akribischer Feinarbeit farbig gestrichelt, die jeweilige Figur. Für sich isoliert, anbindungslos ins getönte Weiß des Papiers eingesetzt,konzentriert sie innerhalb ihrer Grenzen die Vorgeschichte(n) ihrer Bildfindung, fixiert ein Moment, dessen mögliches Davor und Danach in extremer Spannung latent, unheimlich spürbar bleibt. Nach außen wirkt die extreme Präsenz ihrer handgemachten Oberfläche, besser, ihrer haptischen Textur. Und zwar direkt von der Wand weg. Darauf werden diese Blätter einfach mit einigen Nägelchen angepinnt, hebt sich die Tönung des Papiers kaum von den geweißten Wänden ab. Das begründet ein gefährliches Schlingern zwischen der überlebensgroßen Anwesenheit der (zudem in Punkto Lichtspiel, Schatten und Höhung, Modellierung und Texturen zum Greifen nah gestalteten) Figuren und ihrem losgelösten Schweben vor dem Träger, kaum vor der Wand fixiert.

    Gleichzeitig fordert ein Wahrnehmen dieser Zeichnungen Beweglichkeit, das Austarieren von Distanzen und Blickpunkten. Will erarbeitet sein im Gegenüber mit ihrer souveränen Größe, in Konfrontation mit den begehrlich lockenden Oberflächen. Doch dabei stellt sich – wie bei den Performances – erneut die Frage nach Angebot und Begehren, verschiebt sich der Schauplatz für Kontrollmöglichkeit und Ausgeliefert-Sein. Gerade der augenfällig in Szene gesetzte (und mimisch zugleich verleugnete) Exhibitionismus der „Stehenden II“ (2004) verantwortet nicht mehr als das Darstellbare: die Oberfläche eines Versprechens. Und stellt den Rahmen für Projektionen her.

    „Man wußte, dass ich hier wäre zu dieser Stunde und in diesem Aufzug, und ich war keineswegs sicher, ob man nicht jede meiner Gesten überwachte; und mußte nicht derjenige, der damit beauftragt worden war, falls er wirklich zugegen wäre, in diesem Augenblick meine innere Erregung teilen, war nicht auch er schon dabei, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren?“ (Auszug aus Robertes Tagebuch, Pierre Klossowski, ebd., S. 45)

    Hans Jürgen Hafner (2004)

     

    (1) Wobei gerade Selbstporträts gerne einer enthüllenden Betrachtung unterzogen werden.
    (2) Erweitert um den Aspekt des Illusionistischen lässt sich hier, wenn auch mit jeweils verändertem Verhältnis der Mittel betrieben, ein durchaus wiederkehrendes Interesse der Künstlerin lokalisieren. Wer jemals auf ihre dezent verschobenen Grids mit Klinker-Anmutung oder eine ihrer großformatig gemalten Häuserfassaden gestoßen ist, weiß, was ich meine: Anja Schrey verhandelt die Unmöglichkeit des Einblicks.
    (3) Selbstverständlich bietet sich hier der Vergleich zu den Dynamiken und Beziehungen, in denen sich Klossowskis Figur der Roberte entwickelt, an.
    (4) Mit Einschränkungen. Gelegntlich evozieren dezent eingesetzte Schattierungen eine Verankerung der Figur in einem, dann, Bildraum: vgl. „Pin-up I“. Produktiver sind da die in ihrer Funktion unklaren Buntstiftschatten, die wie in der Folge von Verwischungen einige Partien der Figur umgeben, etwa den Rock der „Hockenden II“ oder das Standbein in „Stehende“ (2002).

  • Tableaux Vivants

    How realistic! When a viewer is first confronted with Anja Schrey’s colored pencil drawings, this kind of reaction is almost involuntary. In fact, the figure — a reproduction of herself, which the artist puts on paper in constantly changing outfits and poses — does seem uncannily alive, almost ‘real to the touch.’ Yet at the same time, these pictures, despite their immediacy, retain their distance. Notwithstanding their presence or the effect instigated by their hyper-realistic presence, they remain aloof. They almost seem to maintain a life of their own, one that remains oddly remote from the viewer, even upon closer observation. At first glance, everything seems easily explained.

    Schrey is obviously the central focus of the series of drawings. Done with coloured pencil on paper, this series shows ‘pictures of Anja Schrey.’ The artist is both motif — the result of pose, outfit, and the way they come together to shape the image itself — and producer, that is, the person who transforms the idea for the image to its finished result (whose dimensions, by the way, are very large). Certain fundamental principles underlie this situation: the tradition of realism (the ‘classic’ European concept of reproducing reality) is important for reception, and interpretive patterns, such as the category of ‘self-portrait,’ suggest themselves (1). Depending upon the viewer’s amount of foreknowledge, it is possible to recognize Schrey’s specific presence captured in the literally larger-than-life realism of the pictures. Mimesis (2) That’s it.

    Regardless of this, however, these pictures pose a series of questions on another level. Moreover, they create very ambivalent meanings.

    Sociological Patterns/Annual Rings
    Schrey’s drawings are obviously done from the perspective of ‘now,’ here and today; they function as drawing, transmit clearly legible codes. As has already been said, the figures pose. But above all, they are equipped with a lot of accessories: clothing, shoes, hairdos. This kind of folklore helps to date them: for instance, the combat Puma sneakers in the two versions of the ”Squatter” (2002), a brand name, or a recurring T-shirt model refer, for one, to a certain palette of products available during a particular time period. Along with the hairdos, the entire look represents a certain section of time, the zeitgeist, as seen through fashions. (In the near future, the fashionable aspect of these composed images will be seen in a different light — just take a look at, for example, Franz Gertsch’s super-realistic photographs portraying the atmosphere of the 1970s, or Philip-Lorca di Corcia’s time-bound photographic scenes, as they oscillate between theatrical staging and authenticity, or — a more recent example — Wolfgang Tillman’s work.) Nowadays, it is not so much the pictures themselves, but their suggestions for sociological interpretations that are interesting. Or you start to see their visual mechanisms: many different images, historically determined notions of images, and individual expectations stemming from various sources, which lie between voyeurism and didacticism, are all superimposed together.

    In Schrey’s drawings, however, outfits and styling are not there to simply assist in identification. Directly coupled with this, they present, as if spotlighted, a story about ‘constructed identity.’ In particular, the multiple meanings of each pose, torsion, and balance act — some of which are highly artificial — are remarkably apparent; yet these looks do not in any way lean in the direction of mere image (and thereby lose significance).

    Increasingly, appearance is presented as an intentional insistence upon a possible central ‘self,’ made manifest in its oscillation between, for instance, a kind of deliberate girlishness and a more wishful than skilled pin-up pose; or between a disparaging, startled gaze and a quiet, explicit, withdrawn state of being. As an aside: the interpretive model known as legibility hits its limit here, at the very latest. Opens up a stage upon which to project…

    Yet these compositional techniques create other ways to access the image as ‘art.’ Here, the drawings slip out of the constellation of questions (popular in the 1990s) concerning looks, image, identities, and types, and revert to the complex pre-history of how they came to be, their creation. For Schrey’s true-to-life, exaggerated pictures should not simply be regarded as ‘studio’ works; actual, living images, inverse tableaux vivants can be added to them.

    ”To talk about a ‘living picture’ during a conversation about pictures seems to be a tautology! Isn’t there always a ‘living picture’ before there is a picture?” (Excerpt from ”Octaves Tagebuch,” Pierre Klossowski, Die Gesetze der Gastfreundschaft, Berlin 2002, p. 44)

    Right. Inverse. Here, we are not talking about the almost exclusively Baroque practice (to which Pierre Klossowski refers above) of presenting popular shows with actors, featuring favorite images, famous works of art, emblems, or allegorical situations, which bordered on the theatrical. Schrey’s work is reassigned to art, so to say.

    Schrey appears on call, as if on command. As a ‘living image’ in real space, in her performative experiments such as ”Dressing Princess” (2002) or 2003’s ”Mach mir ein Bild von mir” (”Do a Picture of Me”), the artist exposes herself directly to an audience. She is responsible for an atmosphere of temporarily deliberate artificiality, which she expands into urban as well as art spaces. In these performances, Schrey, in a robot-like, patient way, allows viewers to project their wishes for a certain dress, style, or pose upon her (at her instigation!). The merely temporary results of these constantly changing fantasies of power and wish fulfillment are materialized in the space, where they also reflect upon themselves as images. Executed and exhibited by Schrey (3).  What is really the case here? The meaning of these games with detached, visible mechanisms of cause and effect, role-playing, and control (including the contexts of presentation and reception) is found elsewhere, on the edges of the temporarily aestheticized reality.

    ”But it wasn’t simply a case of life imitating art — that was just a pretence. The changes in mood sought for were those caused by life, which devoted itself to a play about itself; a life frozen in mid-air.” (Pierre Klossowski, ibid.)

    Profound Surfaces
    Back from the parallel zone of the performances, which allow the figures in the drawings to reverberate as in an echo: condensed, taken from different sources and provenances (media images, performances, self-reflective modeling in the studio), captured in photographs before being carried out on paper.

    In this case, drawing is not developed via the pencil: it is the method of manufacturing an imagined image, which was developed before and has long been detached from ‘reality.’ This strongly limits the drawing’s own life; the relation of the figure to the material upon which it exists reminds you more of the focused view of a camera, so that the frame takes over control of the composition. Outlines cleanly separate the figure from the background (which is seldom more than just a chassis, functioning almost like a blue box without any kind of directional assistance) (4). Each figure appears in contrast, carefully drawn in detail with an almost illustrative naïveté. Isolated, alone, unconnected, set in the emphatic white of the paper, each figure concentrates inside the boundaries of the pre-histor(ies) of its invention, fixes a moment of extreme tension, whose possible pre- and afterlife remains latently, uncannily tangible. The extreme manifestation of her handmade surfaces — or better, her haptic texture — works outside the picture. Directly away from the wall. Since the sheets are simply pinned to the wall with a few small nails, the tone of the paper is barely distinguishable from the whiteness of the walls. This causes a dangerous lurch, between the larger-than-life presence of the figures (which, in point of light, shadows, height, modeling, and textures, are drawn so that they are practically tangible) and the way they seem to float, detached, in front of the wall, barely adhering to it.

    At the same time, observing these drawings demands mobility, so that the viewer balances distances and perspectives. To perceive these images, the viewer has to explore them, to experience the contrast in size between himself and the image, to confront himself with their alluring, attractive surfaces. Yet along with this, as in the performances, questions are once again posed about what is offered, what is desired; the arena of control and exposure is shifted to the viewer. The apparent exhibitionism portrayed (and at the same time, mimetically denied) in 2004’s ”Stander II” is nothing more than what it is: the surface of a promise. Creating the framework for projections.

    ”They knew that I would be here at this hour and in this elevator, and I was not at all certain that someone was not watching each of my gestures; and wouldn’t the person assigned to do this, in case he really was doing it, be sharing my internal excitement at this moment; wasn’t he already about to lose control over himself?” (Excerpt from ”Robertes Tagebuch,” Pierre Klossowski, ibid., p. 45)

    Hans Jürgen Hafner (2004)

     

    (1) Since self-portraits are usually subjected to revealing scrutiny.
    (2) The artist recurring interest in this can be seen here, when you include the aspect of illusionism, even though she explores it with different techniques. Anyone who has seen her subdued grids, which resemble brickwork, or one of her large format-paintings of house-façades, knows what I´m talking about: Schrey deals with the impossibility of seeing into anything.
    (3) Here, of course, a comparison could be made to the dynamics and relationships amid which Klossowski´s character of Roberte develops.
    (4) With limitations. Sometimes subdued shadowing evokes the notions that the figure is anchored in a space, which then becomes a space for the image. See „Pin-up I“. More productive are the coloured pencil shadows, whose function is unclear. The result of shading, they suround some of the parts of the figure, such as the skirt of „Hockende I“ or the leg of the „Stehende“ (2001).

     

  • Die Nuss

    Zum Garten hin hatte das Wohnzimmer meiner Großmutter ein Panoramafenster. Als ich auf die Höhe der Fensterbank herangewachsen war, entdeckte ich dort zwischen polierten Messingtöpfen und bronzenem Zierrat einen Gegenstand von der Form einer Kokosnuss. Es war wohl tatsächlich eine, nur dass ihre Oberfläche schwarz-bläulich schimmerte und mit einem fein geschnitzten Relief versehen war. Man musste die Nuss in den Händen drehen, um eine Jagdszene zu erfassen: ein Jäger richtete seine Flinte auf einen flüchtenden Hasen, ein Hund lief hinterher. Oft habe ich diese Nuss betrachtet, ihr glänzendes Holz, und oft habe ich ins Dunkel hinter einer schnutenartigen Öffnung gestarrt oder hineingeblasen, um dem hohlen Raum einen Ton zu entlocken.

    Irgendwann drängte sich ein Gedanke auf: War sie nicht verzichtbar auf dieser Fensterbank? Trotz des großen Haushalts, den vielen vollen Zimmern, ein Verschwinden der Nuss wäre aufgefallen. Und was hätte ich auch gehabt von einem Besitz, der als Diebesgut im Verborgenen gehalten werden müsste? Geschenkt bekam ich sie nicht, obwohl ich meinen Wunsch zu Weihnachten und an den Geburtstagen hartnäckig vortrug.

    Ich mag 15 oder 16 Jahre alt gewesen sein, als ich einen Kuraufenthalt der Großmutter dazu nutzte, die Nuss sorgfältig zu zeichnen: den langen Flintenlauf, der sich nach dem Rund der Schale bog, das Ornamentenband der Schnute, den Hasen. Obwohl ich den Zeichnungen fortan wenig Wert beimaß, waren sie Beleg einer Aneignung anderer Art, die den Besitz an diesem Objekt unnötig machte. Wenn ich die Nuss nun auf der Fensterbank wiedersah, erschien sie mir wie ein alter Bekannter, dem man ohne Anspruch aber mit Wohlwollen begegnet.

    Nach dem Tod meiner Großmutter teilten ihre Kinder die Hinterlassenschaft unter sich auf. Einiges blieb zurück in Ecken und Wandschränken, und an diesen Resten durften sich die Enkel bedienen. Auf der Fensterbank im ausgewaideten Wohnzimmer lag immer noch die schwarze Nuss.

    Christoph Breuer (2012)

  • The Nut

    Overlooking the garden, my grandmother’s living room had a panoramic window. When I had grown to the height of the window sill, there, in-between the polished brass pots and bronze ornaments I discovered an object the shape of a coconut. It probably really was one, only that its surface shone black and bluish and was decorated with a finely carved relief. You had to turn the nut in your hands to capture a hunting scene: a hunter aimed his shotgun at an escaping hare, a dog was running along behind. I have often observed this nut – its gleaming wood; I have often stared into the dark behind a pout-like opening, or blown into it to coax a sound from the hollow space.

    At some time, a thought sprang to mind: was this not dispensable on this window sill? Despite the large household and the many full rooms, the disappearance of the nut would have been noticed. And what would I have gained even by owning what would have to be kept hidden away as stolen goods? I didn’t receive it as a gift, although I persistently declared my wish at Christmas and birthdays.

    I may have been age 15 or 16 when I used a short stay with my grandmother to carefully draw the coconut: the long barrel of the gun, which bent around the circular shell, the ornamental pout and the hare. Although from now on, I placed little value on the drawings, they were evidence of a different kind of appropriation that made ownership of this object unnecessary. When I saw the nut on the window sill again, it seemed to me like an old acquaintance that you meet without any expectation and with goodwill.

    After my grandmother’s death, her children divided up her legacy among themselves. Some things remained behind in the corners and wall cupboards, and the grandchildren were allowed to choose something from these leftover belongings. On the window sill in the emptied living room there still lay the black nut.

    Christoph Breuer (2012)